Auf einer Reise nach Namibia, vor gut 10 Jahren, machte ich Erfahrungen, die mich tief berührten. Wegen dieser Reise und den Menschen die ich dort kennenlernen durfte, engagiere ich mich heute für Klimaschutz und nachhaltiges Reisen.
Ich hatte das große Glück von unserer Agentur vor Ort herzlich betreut zu werden, indem sie eine Mitarbeiterin mit mir auf die Reise schickten. Zu zweit bereisten wir ihre Wahlheimat, in der sie bereits über 20 Jahre lebte und aufgrund ihrer Kontakte bekam ich einen ganz anderen Zugang zu Land und Leuten, als es normale Touristen tun. Seitdem sehe ich meine Umgebung klarer, deutlicher, schonungsloser und hoffnungsfroher zugleich.
Ich fliege nach Afrika…
… das klingt verheißungsvoll. Vor meinem inneren Auge entstehen Bilder von unendlicher Weite, Tierherden, die Savannen durchstreifen, archaisch lebenden Volksstämmen. Aber was fällt mir im Besonderen zu Namibia ein? Im Südwesten gelegen, an Südafrika grenzend, ehemalige deutsche Kolonie, sehr wenige Menschen, sehr viel Natur, riesige Nationalparks, die höchsten Dünen der Welt, große Entfernungen, Hereros, Tiere, Diamanten, Hauptstadt Windhoek… Sehr viel weiß ich eigentlich gar nicht und so fahre ich mit vagen Bildern im Kopf los mit der Hoffnung eine einmalige Reise zu erleben.
Die Größe und Ausweitung des Landes lässt sich mit meinen deutschen Maßstäben messen, ist mit nichts in Europa zu vergleichen. Das ist gut so, denn so erlebt ich die Fremde als das was sie ist: Ungewohnt, anders und meine Sinne schärfen sich. In Berlin habe ich mir angewöhnt nicht überall so genau hinzugucken, hinzuhören oder zu riechen. Aber hier? Eine Woche lang werde ich Namibia aufsaugen, einatmen, den Gesprächen, dem Wind und der Stille zuhören. Danach bekommt meine bisherige Definition von Luxus eine völlig neue Wendung, aber das werde ich erst spüren und wissen, wenn ich schon längst wieder zu Hause bin.
In einer kleinen Cessna in der maximal 5 Personen Platz finden, geht es los. Meine Reiseroute ist vorbereitet durch die örtliche Agentur von Wilderness Safaris, die in Namibia einige Lodges betreiben und mit denen unser Büro sehr eng zusammen arbeiten wird.
Die erste Station liegt eine gute Flugstunde südöstlich von Windhoek am Eingang des Namib-Naukluft Nationalpark, besser bekannt als Sossusvlei. Meine Begleitung und ich werden am Airstrip, einer Schotterpiste, von Petrus, unserem Guide, abgeholt, der uns die nächsten Tage ganz individuell führen wird.
Little Kulala ist die sicherlich luxuriöseste Lodge in Sossusvlei. Alle Gäste haben ein eigenes „Haus“ mit großer überdachter Holzterrasse, Sitzecke, Plungepool, Schlafzimmer mit bodentiefen Fenstern, großem Bad mit Dusche und einem kleinen ummauerten Garten mit Außendusche. Der Blick geht über die unendliche Weite, die sich vor der Lodge erstreckt, bedeckt mit leicht wogendem, gelblichem Gras und nur von wenigen sanften Hügeln durchbrochen. Von meinem Aussichtsplatz auf der Dachterrasse sehe ich ganz in der Nähe Oryxe, Springböcke und einen Strauß friedlich grasen.
Frühmorgens nimmt uns Petrus, der in der Nähe geborene wurde, wie er uns stolz berichtet, mit auf naturkundliche Exkursionen im offenen Geländewagen – mit Sitzsack und Wärmflasche gegen die Kälte – und kredenzt uns am Abend einen Sundowner mit Häppchen am gedeckten Tisch, während wir beseelt den Sonnenuntergang betrachten. Die Landschaft ist beeindruckend, auch wenn sie auf den ersten Blick eintönig erscheint. Mit sich veränderndem Sonnenstand entstehen neue Farben und Kontraste, mischen sich zum Abend die Tiergeräusche unter den Wind, erkennt man den Ruf von Vögeln. Alles ist friedlich und harmonisch, ein idealer Einstieg, um von der Hektik des Alltages herunterzukommen und sich auf die Magie Afrikas einzulassen. Die Lodge tut das ihre dazu. Warmherzige Menschen, hervorragende Küche, ein großartiger Weinkeller – hier kann man sich nur wohl fühlen und ich frage mich: Kann es schöner werden?
Von Sossuslvei geht es nördlich ins Damaraland. Der Flug dorthin ist grandios, denn wir fliegen tief über die unendliche Dünenlandschaft, die sich Hunderte von Kilometern entlang der Küste zieht. Wir sehen verlassene Diamantenstädte, deren Umgebung absolut unwirtlich erscheint. Wie groß muss die Anziehung der versprochenen Diamantenfunde gewesen sein oder wie verzweifelt der Wunsch nach Reichtum, um sich hier niederzulassen? Vom Sand bedeckte Schiffswracks erscheinen unter uns und Kolonien von Robben.
Bei Long Beach, dem ersten Zeichen von Zivilisation, erheben sich große Schwärme von Vögeln mit pinkfarbenen Flügelspitzen, um ein paar Meter weiter wieder im flachen Wasser zu landen – Flamingos. Die Cessna biegen ab ins Landesinnere. Noch eine gute Stunde bis Damaraland. Unter uns ist die Landschaft jetzt vulkanischen Ursprungs mit verwitterten Vulkanenkegeln, die durch Jahrtausende andauernde Erosion flach, wie große runde Tische gerieben wurden.
Damaraland Camp besteht aus elf rustikalen Bungalows mit Zeltwänden, gemauerter Dusche und großer Terrasse mit Ausblick. Gegen Abend gehen wir mit unserem privaten Guide Anthony auf einen Naturspaziergang und lernen einiges über die Pflanzen, die auf dem kargen vulkanischen Boden wachsen. Einige hochgiftige sollen wir nicht einmal berühren und von allen kann er uns erzählen wofür der hier lebende Stamm der Damara sie seit Jahrhunderten nutzt. Sein liebstes Hobby aber ist die Ornithologie und er kann einen in 50 m Entfernung in einem Strauch sitzenden spatzengroßen Vogel ausmachen und benennen, ich sehe nicht einmal einen Elefanten in 500 m Entfernung. Zu meiner Verteidigung ist zu sagen, es war ein regungsloser grauer Elefant vor grauem Hintergrund. Anthony schult mich im Entdecken, sodass ich Tiere – sobald sie sich bewegen – auch sehe. Er bringt uns zu Rhinozerossen in einem Tal voller Wilwitschia, pirscht sich an acht Löwenjungen mit zwei Muttertieren versteckt in hüfthohen Büschen heran, die von einem geduldigen Aasgeier bewacht werden, zeigt uns eine Herde Elefanten mit drei Kleinen, eines davon erst drei Wochen alt und eine Herde Giraffenmännchen, die zu zwölft entlang der Straße ziehen. Auf einem Hügel eine große Herde Bergzebras und unzählige Vögel, Oryxe, Kudus und Springböcke.
Im Camp wartet auf die mit ihren Guides zurückkehrenden Gäste eine Überraschung: Das Abendessen gibt es heute in einer Boma, einem mit Holz abgestecktem Bereich mit offenem Feuer. Rund um das Feuer haben die Mitarbeiter Tische und Stühle aufgestellt und ein Buffet aufgebaut und wir dinieren alle gemeinsam unter dem strahlenden Sternenhimmel.
Zu uns an den Tisch gesellt sich Pascolena Florry, die Direktorin mehrerer Lodges von Wilderness. Sie ist unweit der Lodge aufgewachsen und erzählt herzlich und sehr humorvoll, wie sie als junges Mädchen schon davon träumte mehr zu sein als Ziegenhirtin und wie sie es schaffte eine Anstellung bei Wilderness zu bekommen, dort gefördert wurde, zur Hotelschule nach London reiste und nun mehrere Camps leitet. Sie, die früher auf dem blanken Erdboden in einer Hütte geschlafen hat, fährt nun Jeep und fliegt im Kleinflugzeug zwischen ihren Camps hin und her.
Ein sehr ungewöhnlicher Lebenslauf, insbesondere im Rückblick auf die Geschichte Namibias, die den Hauptteil der letzten 150 Jahre von Rassismus und Apartheid geprägt war.
Im Verlauf der nächsten Tagen höre ich weitere Geschichten von Mitarbeitern. Anthony wuchs ebenfalls in der Region auf und verdiente sich sein erstes Geld beim Anlegen der Wege im Camp und wurde dann dort zum Ranger und Guide ausgebildet. Fast die halbe Küchenmannschaft stammt aus einem Dorf nur wenige Kilometer entfernt, welches, seit Wilderness von ihnen Land für die Lodge pachtete, einen Anschluss an das Stromnetz bekam.
Wilderness arbeitet mit einem klaren Ziel: Auf Dauer angelegter wirtschaftlicher Erfolg für eine Region, mit dem Ziel die Natur zu schützen und zu erhalten, dabei die lokale Bevölkerung einbinden und teilhaben zu lassen und Traditionen und Handwerk bewahren.
Nachhaltigkeit im Tourismus. Es erscheint mir völlig logisch so zu handeln, und zu dem Zeitpunkt habe ich nicht gedacht, dass Nachhaltigkeit im Tourismus eher die Ausnahme denn die Regel bedeutet.
Als wir abreisen und uns das unglaublich engagierte Team der Lodge verabschiedet, haben wir Tränen in den Augen.
Wieder geht es im Flugzeug stundenlang über gen Norden das Land. Die Landschaft wird noch karger, wenn das überhaupt möglich ist. Wie große, runde Sommersprossen sind Flecken über das Land verteilt. Man nennt sie Elfenkreise und der Ursprung ist nicht klar, was viel Raum für Spekulation lässt. Deutlich erkennbar sind vereinzelt Kraaldörfer, die die modernen Farmen ablösen, deren silberfarbene Dächer und weithin sichtbare Windmühlen schon lange nicht mehr zu sehen sind. Unser Ziel ist Serra Cafema, die abgelegendste Lodge im südlichen Afrika. Als wir auf einer großen Ebene landen, nur von rotem Sand bedeckt, ahnen wir, wie abgelegen die Lodge ist. Um uns herum ist nur Landschaft.
Unser Begleiter für die nächsten Tagen ist Dinish, der den Jeep lässig durch tiefen roten Sand, dann eine Mondlandschaft mit tiefen Canyons steuert. Die einzigen großen Tiere sind Oryxe, die nur aufgrund ihrer hohen Anpassungsfähigkeit eine Überlebenschance haben. Vor der wilden Kulisse muten sie wie Fabelwesen an, die sich jeden Moment ins Nichts auflösen können. Wir reden kaum, saugen die Landschaft auf, die vom Anfang der Erdzeitrechnung zu stammen scheint, bis wir plötzlich unter uns das blaue Band des Kunene River sehen und den schmalen grünen Streifen Vegetation, der die Ufer säumt. Auf der anderen Flußseite ist Angola.
Der Fluss ist Heimat von Krokodilen und so steht die Lodge am Ufer auf hohen Stelzen.
Holzwege führen von den sechs großen Holzbungalows zum Mittelpunkt der Anlage mit großer Terrasse über dem Wasser.
Die Szene und Umgebung mutet an, aus der Zeit der ersten weißen Afrika Forscher zu stammen. Man meint, hier ist ein Ort für Geschichten aus der Pionierzeit, als man das Land vermaß und die hier lebenden Stämme entdeckte. Das Gefühl wird bestätigt, als am Abend Anekdoten und Erlebnisse am Tisch die Runde machen, Guides und Mitreisende erzählen. Ich könnte die ganze Nacht sitzen bleiben und zuhören, fielen mir nicht irgendwann die Augen zu. Von der Müdigkeit oder vom wunderbaren Weißwein – beidem wahrscheinlich.
Dinish nimmt uns mit auf den Kunene und reist zum Sundowner illegal nach Angola ein, wo wir eine imaginäre Grenzlinie ziehen, überschreiten und uns zuprosten. Die nicht zu sehenden Krokodile verursachen ein mulmiges Gefühl. Jeder Zeit könnte eines unter unserem kleinen Boot auftauchen, der Fluss ist so trüb, wir würden es erst sehen, wenn es den Kopf aus dem Wasser streckt.
Gar nicht zu beschreiben, sind meine gemischten Gefühle, als wir mit Dinish zu den Himba fahren. Der Volksstamm ist auf wenige Hundert Menschen dezimiert. Die Familien wohnen einzeln in Hütten aus Holzstöcken, verputzt mit Rinderdung. Der größte Besitz der Himba sind ihre Tiere und während die Männer das Vieh tagsüber kilometerweit treiben, um genügend zu fressen zu finden, sind die Frauen im Dorf und kümmern sich um die Kinder und Vorräte, fertigen Kleidung aus Fellen an, schnitzen Schmuck und bereiten Essen vor.
Meine Erzählung kann die Eindrücke nur mangelhaft widergeben, aber eines ist sicher: Dies ist der bewegendste Teil der Reise. Noch nie habe ich Menschen getroffen, die verbundener mit ihrem Land waren, die völlig unabhängig von modernem Konsum leben und denen unsere Lebenseinstellung total fremd und – wahrscheinlich – unnütz erscheint. Meine persönliche Perspektive wurde gerade gerückt und ich hoffe, die veränderte Sichtweise sehr, sehr lange beibehalten zu können.
Namibia ist so viel mehr, als ich erwartet habe. Die Reiseroute hat für mich landschaftliche Schönheit neu definiert, ebenso wie Luxus hier eine andere Qualität erreicht. Luxus, den ich früher mit mit Überfluss und Dekadenz, goldenen Wasserhähne und Markenartikeln definiert hätte, ist nicht der für den ich mich begeistere.
Für mich ist Luxus eindeutig die Begegnung mit Menschen, von ihnen lernen, der Austausch von Erfahrungen, Teilhabe an dem was andere schätzen und lieben, Natur erleben, Details im Großen und Ganzen erkennen, dazu Raum, Platz, Harmonie lokaler Materialien und Farben, die Ingredienzen eines Landes schmecken, Gerüche sammeln und fremde Klänge, neue Ausblicke auf die Welt, schlafen unter dem Sternenhimmel und Zeit – Zeit haben und sich Zeit nehmen, das alles zu genießen.